Brief des Lukas an Theophilos

Oskar Herwartz

Sei gegrüßt, lieber Theophilos und hab Dank für Deinen Brief, der mir Gelegenheit gibt, etwas genauer auf die Tage zwischen der Kreuzigung Jesu und Pfingsten einzugehen. Erinnere Dich der Lage:

Jesus war seinen Weg zu Ende gegangen, bis in den Tod, den er mit den Worten: "In Deine Hände, Vater, gebe ich meinen Geist" annahm. Die Jünger und Freunde waren verzweifelt. Für sie war alles zu Ende; Jesu Geist kein realer Wert mehr.Nach Gottes Willen aber sollten gerade diese Verzweifelten Jesu Geist in die Zukunft tragen. Also mussten sie erst einmal davon überzeugt werden, dass Jesus nicht tot ist, dass sein Geist in den Händen des Vaters lebt, dass dieses Leben für sie reale Wirklichkeit ist.

Es gibt eine Menge Berichte von durchaus kritischen Zeugen, die alle das Gleiche verkünden: Jesus lebt! Würdest Du diese Zeugen nach dem "Wie" und "Wo" fragen, Du erhieltest letztlich immer die gleiche Antwort: "Das wissen wir nicht, aber wir wissen, er lebt!" Natürlich freuten sich die Jü³nger. Anfängliche Zweifel wichen der Gewissheit. Diese aber bewirkte weder eine Befreiung von der Angst, noch eine wie immer geartete Aktivität. Im Gegenteil: der Kreis derer, die Jesus vor seinem Tode gekannt hatten, scheint sich auf dieses neue Zusammenleben mit ihm eingestellt und alles allein von ihm erwartet zu haben.

Darum eine neue Maßnahme Gottes: Die Erscheinungen hörten auf. Die letzte machte den Jüngern deutlich, dass eine Periode zu Ende sei. Sie bildet auch tatsächlich einen Wendepunkt in den Beziehungen zwischen Jesus und ihnen. Ich habe dieses Ereignis daher sowohl als Abschluss meines Buches über das Leben Jesu in der Welt, wie als Anfang meines anderen von der Geschichte des immer gegenwärtigen Jesus eingesetzt. Tatsächlich war die Situation nach dem Ende der Erscheinungen so, dass die Jünger nun zwar voll überzeugt waren, dass Jesus lebt, aber Konsequenzen zogen sie aus dieser Überzeugung auch jetzt noch nicht. Sie warteten einfach auf sein Wiederkommen. Vielleicht heute? Oder morgen? Aber sehr bald! Gott aber handelte: Wie die Larve in der Puppe ein verborgenes Leben führt und sich dabei aus einer hässlichen Raupe zu einem bunten Schmetterling entwickelt, so lebte in der Jüngerschar die Erinnerung an Jesus. Du kannst ruhig sagen: Jesu Geist lebte in ihnen und wandelte sie.

Der drängte sie nämlich, sich immer wieder neu von ihren Erlebnissen mit ihm zu erzählen. Immer mehr erfüllte sich das Wort: Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen. Allerdings ahnten sie davon vorderhand nichts. Es dauerte einige Zeit bis sich zunächst eine innige Freude und Erwartung aller einstellte. Immer mehr Jünger kamen zusammen. Es entwickelte sich eine Stimmung, die ich als "Brausen wie bei einem Sturm" umschrieben habe. Man ist ja so hilflos, wenn man etwas Unfassbares beschreiben soll. Meine Gewährsleute konnten es auch nicht besser. In dieser Stimmung bat Maria, die Mutter Jesu, den Johannes, ihr doch noch einmal von jenem Abend vor seiner Gefangennahme zu erzählen. Wie es ihre Art war, hörte Maria seiner Erzählung aufmerksam zu, als ob sie sich an ein eigenes Erlebnis mit Jesus erinnerte. Als Johannes geendet hatte, wandte sie sich an Petrus, der durch Kopfnicken jedes Wort des Johannes bestätigt hatte, und sagte: "Wenn Jesus Euch gesagt hat: Tut dies zu meinem Andenken, warum tut ihr es dann nicht?"

Petrus schaute sie konsterniert an. Er war ehrlich erschrocken über das, was sie ihm zumutete. Maria machte ihm aber Mut:

"Jesus hat mir so viele Rätsel aufgegeben. Sie lösten sich alle, wenn ich ihm vertraute, und machte mich dann immer sehr glücklich. Erinnerst Du Dich nicht mehr an die Geschichte in Kana bei der Hochzeit? Mir scheint, selbst das dunkle Rätsel seines Todes beginnt sich zu lösen. Wir sollten Jesus einfach gehorchen!"

Inzwischen waren alle aufmerksam geworden. Da gab sich Petrus einen Ruck und stand auf. Etwas stockend begann er zu sprechen. Seine ersten Worte waren eine Bitte um Verzeihung, dass er jetzt etwas tun wollte, was Jesus getan hatte. Langsam festigte sich seine Stimme. Mit offenbarer Freude erzählte er die Geschichte jenes Abends wie eine gute Botschaft. Die, die damals mit dabei gewesen waren, bestätigten seine Worte immer wieder durch Zustimmungen. Als er aber erzählte, wie Jesus das Brot gesegnet, gebrochen und verteilt hatte, sagte er das nicht nur, sondern griff in den Brotkorb, nahm wirklich ein Stück Brot, segnete es und verteilte es an alle. Entsprechend machte er es auch mit dem Kelch.

Wir können uns heute nur schwer vorstellen, wie die Worte "DIES IST MEIN LEIB" und "DIES IST MEIN BLUT" gesprochen durch Petrus auf die Versammelten wirkte. Wie ein Feuer im trockenen Busch durch einen Sturm zu plötzlicher Lohe aufgepeitscht wird, so wirkte die plötzliche Erkenntnis: Jesus ist hier, hier bei uns, Er wird uns nie mehr verlassen, wie eine Feuersbrunst. Fenster und Türen wurden aufgerissen. Alle redeten durcheinander, fielen sich um den Hals, stießen sich, riefen, sangen und tanzten. Man konnte sie wirklich für betrunken halten.

Am ehesten fing sich Petrus wieder, wenn auch durch Gottes Fügung auf einer neuen Stufe seines Seins. Mutig konnte er auf die Straße gehen, wo sich eine Menge Neugieriger zusammengefunden hatte, und konnte offen von Jesus erzählen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Mehr oder weniger ging es den anderen ähnlich. Und auch mir ist es später so gegangen, als mich die Gnade berührte. Die Schmetterlinge flogen und fliegen seither.

Befreie auch Du Dich von Deinen Fesseln und fliege mit!

Es grüßt Dich Dein Lukas


Hier den Text als pdf herunterladen